Wer meinen Thriller »Kalte Haut« gelesen hat, wird wissen: Der Prolog spielt in den USA. Die Örtlichkeiten, die ich darin beschreibe, sind nicht meiner Phantasie entsprungen, sondern ich habe sie auf meinem US-Trip 2009 tatsächlich bereist: Las Vegas, Boulder City, das Motel Nevada Inn, die Wüste Nevadas, die abgeratzten Trailerparks.
Nachfolgend möchte ich Euch einige der auf meiner Recherchereise entstandenen Bilder zeigen, außerdem ein bisschen über deren Bedeutung, die Hintergründe, also auch über die Entstehungsgeschichte von »Kalte Haut« berichten.
Viel Vergnügen.
»Robert schwieg. Die ganze Sache war ihm unangenehm, sogar unheimlich. Er konnte den Grund dafür nicht benennen, aber sein Unbehagen wuchs mit jeder Meile, die sie sich ihrem Ziel näherten.« (Aus dem Prolog)
Am Anfang, irgendwann Ende 2008, als ich mit der Arbeit an »Kalte Haut« begann, war nur die Idee: Nämlich die, dass die Geschichte des Polizeipsychologen Robert Babicz (neben der Berliner Kommissarin Sera Muth der zweite Protagonist), in den USA beginnt. Wo genau, war mir noch nicht klar. Aber da ich fürs Frühjahr 2009 mit Freunden einen vierwöchigen Amerika-Aufenthalt geplant hatte, war ich zuversichtlich, schon bald einen geeigneten Handlungsort zu finden.
Mein erstes Reiseziel war Florida, genauer: Miami in seinem Art-déco-Style, Key Largo mit den farbenfrohen, teuren Villen, Key West mit seinen kleinen Holzhäuschen im Südstaatencharme, jedes einzelne mit einer schnuckeligen Veranda vor der Tür. Auf der einen Seite der Atlantik, auf der anderen der Golf von Mexiko, außerdem eines der schönsten Riffe zum Tauchen. Blauer Himmel. Sonnenschein. 30 Grad. Und das schon Anfang April!
Soviel war sicher: Die nahen Everglades mit ihrem Mangrovenwäldern, den Sümpfen und den Alligatoren mochten zwar für die zuverlässige Entsorgung einer Leiche dienlich sein, aber für meine Geschichte, vor allem aber die schwermütige, zweifelnde, mit ihrer Berufung hadernde Hauptfigur Robert Babicz, taugte Florida nun mal gar nicht.
Und nun?
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Das nächste Ziel unserer US-Reise war San Francisco. Auf den ersten Blick bietet die kalifornische Metropole ähnlich erhebende Eindrücke wie zuvor Miami, Key Largo, Key West, nur ein bisschen weltmännischer eben: Cable Cars, Fisherman's Wharf, Alcatraz, Golden Gate, morgens Nebel, mittags Sonnenschein, Pazifik, Tanker, die behäbig wie riesige Wale vorbeigleiten.
Kann das ein Ort für Verbrechen sein?
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Aber natürlich gibt es – abseits eingetretener Touristenpfade - auch ein anderes San Francisco, jenes, das man aus Krimis kennt, ich sage nur: »Die Straßen von San Francisco« ... Die kleinen Gassen in Chinatown. Das heruntergekommene Tenderloin-Viertel. Aber selbst in Downtown, dem vermeintlich sicheren Stadtzentrum, haben sich trotz emsig wuselnder Bänker und Geschäftsleute unübersehbar Armut und Gewalt eingenistet.
Obdachlose, wo und wann immer wir gingen, wir stolperten förmlich über sie. Abends sieht man nur noch Penner. Bänker und Bosse sind plötzlich wie weggefegt aus der Innenstadt. Als wir am Abend bei McDonalds auf der Market Street, (sowas wie die Hauptstraße Downtowns) zu einem späten Snack einkehrten, fiel plötzlich laut gröhlend eine Bande Afroamerikaner in den Laden ein.
Der Spaziergang zurück zum Motel entfiel, stattdessen nahmen wir die Straßenbahn. Erst vor kurzem, wenige Wochen vor meiner Anreise, war in Downtown ein deutsches Touristenpaar auf offener Straße über den Haufen geschossen worden.
Und der Motelbetreiber meinte, den Mietwagen doch möglichst nicht am Straßenrand, sondern im Innenhof zu parken – andernfalls könnte es passieren, dass er am nächsten Morgen nicht mehr da ist ...
Also: San Francisco mochte besser zu meiner Story und zu meinem Helden passen, aber – irgendetwas fühlte sich noch nicht richtig an.
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»Das Land ist phänomenal«, sagte Robert. »Viele Leute sprechen von unendlichen Weiten, wenn sie über die USA reden, aber ich glaube, die wenigsten von ihnen haben eine Vorstellung davon, was das wirklich bedeutet. Wie auch, wenn man, ich sage mal, nur die Mark Brandenburg als Beispiel für unendliche Weite kennt.«
»Und unendliche Eintönigkeit!«, warf Nadine ein.
»Ja, genau. Aber eintönig ist Amerika ganz sicher nicht. Wenn du von der Westküste, zum Beispiel von San Francisco aus, mit dem Auto ins Landesinnere fährst, dann bist du schon nach kürzester Zeit inmitten der schneebedeckten Berge des Yosemite Nationalparks. Wenig später durchstreifst du die heißeste Wüste der USA, das Death Valley, und nur wenige Meilen später durchkreuzt du schon wieder Berge und Steppen im Monument Valley ... Der Begriff unendliche Weiten ist, wenn überhaupt, dann nur geschaffen für Amerika.« (Aus Kapitel 67)
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Es sollte tatsächlich bis fast an das Ende unserer vierwöchigen US-Reise dauern, bis wir an einen Ort gelangten, der sich geradezu als ein Schauplatz meiner Geschichte aufdrängte: Der Mittlere Westen. Nevada. Wüste, Steppe, ab und zu Kakteen, und plötzlich, mitten in diesem flirrenden, kargen Nichts, das Örtchen Boulder City, seltsam surreal aus dem staubigen Boden gestampft.
Ansonsten: Ein typisches, amerikanisches Nest mit breiter Durchgangsstraße, beiderseits des Weges die Fastfood-Riesen und Motels, dahinter Einfamilienhäuser, uniformiert wie Legebatterien, sich rasterförmig in alle Himmelsrichtungen ausbreitend.
Plötzlich machte es Klick. Genau
das war es, was ich für »Kalte Haut« suchte. Ein kleines, trauriges Nest im rauhen, staubigen Nirgendwo – wenn man hier nicht ins Zweifeln gerät, wo dann?
Doch der Ort und die Umgebung boten noch viel mehr Inspiration für einen Thriller ...
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»Robert nippte an seinem Kaffee und wartete. In Amerika war er fast immer Auto gefahren. Was nicht zuletzt daran gelegen hatte, dass außerhalb der Ballungszentren keine öffentlichen Verkehrsmittel existierten. Die Amis liebten es, noch die kleinsten Besorgungen mit dem Pick-up oder einem SUV zu erledigen.« (Aus Kapitel 2)
Es gab in der Tat noch einiges mehr, was für die Gegend rund um Boulder City als Schauplatz meiner mörderischen Geschichte sprach: Zum Beispiel die monströsen Schilder am Rande der Highways und Interstates, mit deren Hilfe nach Verbrechern, Vergewaltigern und Mördern gesucht wurde.
Furchterregend, oder?
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Die Art und Weise, mit der in Nevada nach Verbrechern gefahndet wird, ist also durchaus eigenwillig. Aber es mutet dann irgendwie wie ein schlechter Scherz an, wenn nur wenige Meilen weiter sich Schilder am Highwayrand erheben, auf denen der örtliche »Gun Store« für seine »real full autos« wirbt – vollautomatische Waffen.
Try one!
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»Nichts als karge Wüstenlandschaft glitt an ihnen vorbei. Ab und zu waren im Scheinwerferlicht zwischen welken Sträuchern und dürren Kakteen die Umrisse einiger Wohnwagen auszumachen. Die meisten Trailer waren längst von ihren Besitzern aufgegeben worden. Im staubigen Wind Nevadas verrotteten sie wie Haufen bleicher Knochen.« (Aus dem Prolog, Seite 9)
Nur ein paar Meilen hinter Boulder City beginnt die Hualapai Idian Reservation, deren Zentrum Peach Springs bildet. Der Name dieses kleinen Nests täuscht: Hier gibt es kein frühlingshaftes Erwachen und schon lange keine Obststräucher, sondern nur verlassene Hütten, eine runtergekommene Tankstelle, neben der ein Haufen alter Cadillacs vor sich hinrostet. Und jede Menge Trailer auf ausgedörrten Grundstücken, die von den Nachkommen des Hualapai Indianer zugemüllt werden.
Mein erster Gedanke war: Für einen Killer, der nicht gefunden werden möchte, der ideale Unterschlupfort.
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»Die Limousine sauste vorbei am Nevada Inn, einem billigen Motel, dessen meterhohe Leuchtreklame am Straßen- rand verkündete: A Friendly Place To Stay. Der Halbkreis, zu dem sich die blinkenden Worte verbanden, wirkte auf Robert wie ein Grinsen, das die vorbeifahrenden Beamten verhöhnte.«
(Aus dem Prolog)
Auf dem Weg von Las Vegas zum Hoover Dam legten machten meine Mitreisenden und ich am Abend Rast in Boulder City. Wir steuerten das erstbeste Motel an. Nevada Inn. Weil wir erschöpft vom Wandern waren, schenkten wir dem Ambiente erst einmal keine Beachtung. Hauptsache schlafen. Erst am nächsten Morgen, nach dem klassischen US-Frühstück – schlechter Kaffee, O-Saft aus Tüten, Plunderteilchen und Donuts –, kurz vor unserer Weiterfahrt, fiel mir die Motel-Reklame ins Auge.
A friendly place to stay.
Was angesichts der Umgebung, der staubigen Wüste, der Fastfood-Riesen, der kargen Einfamilienhäuser, wie ein schlechter Scherz anmutete. Für jemanden, der mit einem Wagen durch diesen Ort rast, dabei mit sich selbst und seiner Berufung hadert, wirkt es sogar, als würde ihn die Leuchtreklame mit einem breiten Grinsen verhöhnen.
Und so fand ich endlich einen der Schauplätze für meine Geschichte.
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Nachdem ich nun ausführlich darüber berichtete, wie ich einen meiner Schauplätze für »Kalte Haut« ausfindig gemacht habe, möchte ich noch einige Worte darüber verlieren, wie ich auf den Namen eines meiner Protagonisten gekommen bin.
Der eine oder andere hat mich ohnehin schon gefragt, ob die Figur des Polizeipsychologen Robert Babicz etwas mit dem gleichnamigen Kölner Produzenten und DJ
Robert Babicz zu tun hat.
Ja, hat sie.
Roberts Musik gehörte schon Anfang der 90-er, als er noch als Rob Acid auftrat, zu meinen Favorites. Bis heute fasziniert mich sein Style, der »Babicz-Style«, und wer sich nur ein bisschen mit elektronischer Musik auskennt, der hat auch Roberts Album »Immortal Changes« gehört - ein Meilenstein. Einer der Titel darauf, »Dark Flower«, ist ein Knaller. Mal reinhören?
Hier!
Kurzum: Robert Babicz hat mich inzwischen über 20 Jahre lang begleitet, seine Musik immer wieder inspiriert und berührt. Aus diesem Grund trägt mein Robert Babicz seinen Namen. Wenn man so will: eine Verbeugung vor einem großartigen Musiker.